Deutschland bleibt ein Paradies für Glücksspielanbieter

Gut gedacht, schlecht gemacht.
So lautet das Fazit zum neuen Glücksspielstaatsvertrag, der am 1. Juli 2021 in Kraft getreten ist. Fachleute aus Suchthilfe und Forschung sind sich einig: Dieser Vertrag bleibt weit hinter den Möglichkeiten zurück, Klient(inn)en zu schützen und präventiv zu wirken.

Die Glücksspiellandschaft hat sich seit dem Inkrafttreten des ersten Glücksspielstaatsvertrages deutlich verändert. Die Inhalte dieses Vertrages stimmen nicht mehr mit der Realität von Online-Glücksspiel und Sportwetten überein. Daher wurde es notwendig, einen zweiten Glücksspielstaatsvertrag zu erarbeiten und durch die Länder ratifizieren zu lassen. Er ist zum 1.Juli 2021 in Kraft getreten.

Ein schnelles Fazit: Deutschland ist und bleibt ein Paradies für Glücksspielanbieter

In Deutschland gibt es circa 430.000 Menschen mit einem problematischen Spielverhalten beziehungsweise pathologische Spieler(innen)1 – Menschen, die mit vielfältigen psychosozialen Problemen die Beratungsstellen aufsuchen. Spieler(innen) sind diejenigen mit der höchsten Verschuldung innerhalb der Gruppe von Suchtbetroffenen. Im Schnitt liegen die Schulden bei 20.000 bis 30.000 Euro, wenn sich ein(e) Klient(in) an eine Beratungsstelle wendet.2 Nicht selten liegen die Verbindlichkeiten bei bis zu mehreren Hunderttau[1]send Euro. Kriminalität, Inhaftierung oder Suizidalität sind auch deshalb bei Spielern(inne)n nicht selten vor[1]kommende Problematiken.

Spätestens seit Corona und der damit einhergehenden monatelangen Schließung der Spielotheken und Spielbanken wurde das Thema Online-Glücksspiel öffentlich diskutiert. Passend dazu haben sich die Länder auf den neuen Glücksspielstaatsvertrag geeinigt.

Bei der Erarbeitung des Glücksspielstaatsvertrags 2021 wurden die Glücksspielforschung oder die Suchthilfe nicht beteiligt. Dennoch soll der Vertrag dazu dienen, das Entstehen einer Glücksspielsucht zu verhindern und Voraussetzungen für eine Suchtbekämpfung zu schaffen. Das Angebot an Glücksspielen soll begrenzt und illegale Glücksspiele sollen verhindert werden. Es soll der Spielerschutz gewährleistet sein und Sorge getragen werden, dass die angebotenen Glücksspiele ordnungsgemäß verlaufen. Und bei diesem Glücksspielstaatsvertrag 2021 ganz neu: Das Geschäft mit Onlinespielen wird legalisiert. Was wird sich ändern?

Glücksspielmarkt wird liberalisiert

Der Glücksspielstaatsvertrag kommt einer Liberalisierung des Glücksspielmarktes gleich. Ab sofort darf in allen Ländern virtuell an Automaten gespielt oder gepokert werden. Sportwetten sind jetzt ebenfalls legal möglich. Stiegen bereits in den vergangenen Jahren die Anteile derer, die eine Beratung wegen Problemen im Bereich des Online-Glücksspielens hatten, gab es in der Phase des Lockdowns eine weitere Zunahme. Inzwischen dürften gut ein Drittel der hilfesuchenden Spieler(innen) aus den Bereichen des Online-Glücksspiels und der Sportwetten stammen. Mit der Öffnung des Marktes gehen jetzt nahezu alle Fachleute aus dem Bereich der Beratung und Therapie für Glücksspieler(innen) von einer weiteren und noch deutlicheren Zunahme dieser Problematik aus. Es ist wahrscheinlich, dass Online-Glücksspiele weitaus risikoreicher sind, eine Sucht zu entwickeln. Die Verfügbarkeit rund um die Uhr und der einfache Zugang über alle digitalen Endgeräte sind die neuen Herausforderungen für Beratung und Therapie. Denn auch hier gilt, dass die Verfügbarkeit eines Suchtmittels wesentlichen Einfluss auf eine Suchtentstehung hat.

Illegal wird zu legal

Bisher illegal agierende Anbieter mit Sitz in Malta oder anderen Destinationen erhalten ohne Konsequenzen für ihr bisheriges Handeln aller Voraussicht nach Lizenzen für Onlinespiele und Sportwetten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bisheriges kriminelles Handeln vollkommen ohne Konsequenzen für die zukünftige Lizenzvergabe bleiben soll. Strafzahlungen oder die Verweigerung von Lizenzen wären aus Sicht einer Regulierung im Sinne von Spielerschutz und Prävention die richtige Antwort. Wer bisher Glücksspiele in Deutschland über Umwege online möglich gemacht hat, sollte keine Lizenz erhalten.

Aufsichtsbehörde kommt zu spät zum Einsatz

Es wird eine Aufsichtsbehörde geben. Das ist beschlossen und sehr zu begrüßen. Der Glücksspielstaatsvertrag ist am 1. Juli 2021 in Kraft getreten, aber die wesentliche Instanz, die eine Regulierung überwachen soll, ist zu diesem Zeitpunkt nicht einsatzbereit. Das ist paradox. Es gibt weder Mitarbeiter(innen) noch einen konkreten Standort. Bekannt ist, dass die Behörde in Sachsen-Anhalt ansässig werden wird. Bis zum 31. Dezember 2022 bleiben die Zuständigkeiten aber in den Ländern. Das führt mit ziemlicher Sicherheit zur Fortsetzung des bereits hinlänglich bekannten Vollzugsdefizits im Bereich der Glücksspielregulierung. Aus fachlicher Sicht bleibt es bei der Forderung, dass die Behörde personell, finanziell und strukturell so ausgestattet sein muss, dass sie den hohen Anforderungen der Überwachung und Weiterentwicklung des Spielerschutzes nachkommen kann. Ein Dialog mit der Suchthilfe, der Forschung und Betroffenen wäre wünschenswert.

Werbung stachelt Wettbewerb an

Die Wirkung von Werbung ist psychologisch gut erforscht. Alle wissen, dass Werbung wirkt. Durch den Erhalt einer Lizenz, Glücksspiele anbieten zu können, wird den Anbietern gleichzeitig auch erlaubt, zu werben. Das wird prognostisch dazu führen, dass der Wettbewerb aufblüht und die Werbung der Anbieter, deren Zahl (aufgrund fehlender Begrenzung) noch nicht vor[1]auszusagen ist, zunimmt. Es wird um jeden Euro Einsatz gerungen werden. Für den Spielerschutz und um einer Suchtentwicklung vorzubeugen, wäre aber ein vollständiges Werbeverbot notwendig gewesen. Hier haben die Länder es versäumt, dass der neue Glücksspielstaatsvertrag dazu beiträgt, besonders gefährdete Zielgruppen zu schützen. Insbesondere Jugendliche und sportaffine Personen werden in Zukunft Zielgruppe der Werbung sein. Trikotwerbung und die Pausenwerbung mit nicht mehr aktiven Sportstars bei Sportübertragungen dürften bereits heute jedem bekannt sein. Die Anstrengungen der Anbieter, Werbung noch intelligenter zu platzieren, werden steigen. Youtuber(innen), Influencer(innen) und Streamer(innen) werden von der Glücksspielindustrie bereits als Werbeplattformen für eine junge Zielgruppe eingesetzt. Auch über Computerspiele werden Anreize zum Glücksspiel gezielt gegeben, Stichwort Gaming und Gambling. Bekanntestes Beispiel ist das Spiel „Coin Master“

Die Anstrengungen der Politik, die Glücksspielprävention zu fördern, sind hingegen eher gering. Die Prävention hätte deutlicher in den Glücksspielstaatsvertrag einfließen müssen. Denkbar wäre zum Beispiel eine klar festgelegte Kostenbeteiligung aller Lizenznehmer(innen) zur Prävention gewesen. Mit mehr Geld wäre auch mehr wirksame Vorbeugung möglich. Diese wird in Zukunft dringend notwendig sein. Neue, auf den Onlinemarkt bezogene Präventionsangebote sind flächendeckend unverzichtbar.

Spielersperren als Pluspunkt

Es wird eine bundesweite Sperrdatei geben und diese Sperrdatei wird spielformübergreifend sein. Das ist ein echter Pluspunkt für den neuen Glücksspielstaatsvertrag. Endlich können sich Spieler(innen) in allen Bundesländern zentral sperren lassen. Das war bislang in den meisten Bundesländern nicht möglich. Der Zeitraum für die Sperre beträgt zukünftig mindestens drei bis zwölf Monate. Weshalb hier ein so kurzer Zeitraum (drei Monate) gewählt und angeboten wurde, erschließt sich aus suchttherapeutischer Sicht nicht. Dauert doch eine Stabilisierung aller Erfahrung aus Beratung und Therapie nach in der Regel deutlich länger.

Dass ein einfacher schriftlicher Antrag genügt, um eine Selbstsperre nach Ablauf der Mindestzeit zu beenden, ist ebenfalls nicht sinnvoll. Hier wäre es besser gewesen, darüber zu diskutieren, was der/die Betroffene vor der Aufhebung der Selbstsperre tun kann, um sich mit dem Grund der Sperre (Glücksspielsucht, Kontrollverlust, Überschuldung) auseinanderzusetzen. Eventuell wäre auch denkbar gewesen, dass die geplante Aufsichtsbehörde die dann bestehende Problematik einschätzt.

Für die Arbeit in Beratung und Therapie steht nun also das Instrument der Selbstsperre bundesweit zur Verfügung. Die neidischen Blicke nach Hessen, wo es eine solche Möglichkeit schon lange gab, sind damit bald vorbei. Die Beratungsstellen werden sicher in Zukunft Klient(inn)en auf diese Möglichkeiten hinweisen und sie dabei unterstützen. Interessant wird es sein, zu sehen, wie viele Menschen sich jährlich bundesweit sperren lassen werden. Daran könnten in Zukunft über einen zusätzlichen Parameter die Probleme mit Glücksspiel in Deutschland gemessen werden.

Verlustlimit ist sehr hoch

Die Aufsichtsbehörde führt in Zukunft eine Limitdatei. Dabei soll reguliert werden, dass Spieler(innen) bei unterschiedlichen Anbietern durch Onlinespielen maxi[1]mal 1000 Euro im Monat Verlust machen können. Eine gute Idee, um noch extremere Verluste, die es häufig gibt, zu vermeiden. Ein Verlustlimit von 1000 Euro monatlich ist allerdings extrem hoch gewählt und dürfte für viele Betroffene im Bereich des monatlichen Nettoeinkommens liegen. Hier sind existenzielle Probleme programmiert. Zusätzlich bezieht sich die zukünftige Limitdatei nur auf Onlinespiele. Ein und derselbe Spieler könnte nach einer Sperre für Onlinespiele terrestrisch (in Spielotheken) weiterzocken und seine Verluste steigern.

Die Limitdatei selbst ist technisch und rechtlich wohl eine der größten Herausforderungen für die zukünftige Aufsichtsbehörde. Es werden bereits Stimmen aus der Glücksspielforschung laut, die vermuten, dass diese Regelung jahrelange Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen könnte und der Gewinn für den Spielerschutz im Endeffekt nicht zum Tragen kommen wird.

Die Forderung nach einer Spielerkarte, mit der sich Spieler(innen) identifizieren können, gab es schon seit einigen Jahren für den terrestrischen Bereich des Glücksspiels. Diese Karte einzuführen und auf den Onlinebereich auszudehnen wäre zielführender gewesen.

Fazit: Mit heißer Nadel gestrickt

Gut gedacht – schlecht gemacht. So könnte das Fazit zum Glücksspielstaatsvertrag ausfallen. Übergreifend sind sich die Fachverbände, die Träger der Suchthilfe, die Betroffenenvertreter(innen) und die Glücksspielforschung einig, dass der Vertrag mit der heißen Nadel gestrickt wurde und viel Potenzial auf der Strecke geblieben ist. Es wurde unter dem Ausschluss der Fachöffentlichkeit gearbeitet und entschieden. Es ist davon auszugehen, dass es über Jahre hinweg ein weiter zunehmendes Vollzugsdefizit geben wird.

Suchthilfe und Prävention stehen vor einer noch nicht kalkulierbaren Herausforderung und sind gut beraten, sich auf die sich zunehmend veränderte Glücksspiellandschaft einzustellen. Vulnerable Zielgruppen sind Jugendliche, junge männliche Migranten und ein sportaffines Publikum. Smartphone, Tablet und PC werden sehr wahrscheinlich für Glücksspiele und Sportwetten in Zukunft mindestens in gleichem Maße genutzt wie Spielotheken und Sportwettbüros.

Den nachvollziehbaren finanziellen Interessen bezüglich der zu erwartenden Steuereinnahmen durch den nun legalisierten Online-Glücksspielmarkt hätte ein deutlich stärkeres Konzept zum Spielerschutz in den oben genannten Bereichen entgegengestellt werden können und müssen.


Anmerkungen

1. Siehe dazu Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Kurzlink: https://bit.ly/3dMWUfx , S.10

2. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): DHS Jahrbuch Sucht 2021. Lengerich: Pabst Science Publishers, S. 35.

Autor
Daniel Elsässer
Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle für Suchtprobleme im Caritasverband Aschaffenburg

Quelle: https://www.caritas.de/neue-caritas/heftarchiv/jahrgang2021/artikel/deutschland-bleibt-ein-paradies-fuer-gluecksspielanbieter?searchterm=gl%c3%bccksspiel